Ein Interview mit Bettina Effner, Leiterin der Gedenkstätte
Das Notaufnahmelager Marienfelde
Das Notaufnahmelager Marienfelde
Das Notaufnahmelager Marienfelde war für viele Flüchtlinge aus der DDR und Ost-Berlin die erste Anlaufstelle nach der Flucht. Die 1953 eröffnete Einrichtung bot für rund 2.000 Menschen Platz. Obwohl bis 1961 immer weiter ausgebaut, war das Lager ständig überbelegt. Mit dem Bau der Berliner Mauer versiegte der gewaltige Flüchtlingsstrom schlagartig. Neben Flüchtlingen und vor allem Übersiedlern, die weiterhin aus der DDR kamen, nahm das Lager jetzt auch Aussiedler aus anderen Staaten auf. Von der neuen Flüchtlingswelle 1989 wurde es geradezu überrollt.
Die letzten Flüchtlinge und Übersiedler verließen Marienfelde 1993. Seitdem diente das Notaufnahmelager dem Land Berlin als zentrale Aufnahmestelle für Aussiedler. Zum Jahreswechsel 2008/2009 wurde das Aufnahmelager endgültig geschlossen. Schon im Herbst 1993 wurde der Verein Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde e.V. gegründet. Er betreibt seitdem eine ständige Ausstellung zur deutsch-deutschen Fluchtbewegung. Am 31. Dezember 2008 hat der Trägerverein die Geschäfte an die Stiftung Berliner Mauer übergeben.
Im Interview: Bettina Effner, Leiterin der Gedenkstätte Notaufnahmelager Marienfelde
1. Was genau erwartet den Besucher in Ihrer Dauerausstellung „Flucht im geteilten Deutschland“ am authentischen Ort?
Die Besucher erwartet eine sehr anschauliche Darstellung verschiedener Stationen, die mit einer Flucht im geteilten Deutschland verbunden waren: Wir zeigen, welche politischen Maßnahmen des SED-Regimes und welche konkreten Konflikte es waren, die zwischen 1949 und 1990 rund vier Millionen Menschen aus der DDR wegtrieben. Wir dokumentieren die immer enger werdenden, nach 1961 oft lebensgefährlichen Wege, die Fluchtwillige nutzten, um die DDR zu verlassen. In einem Raum mit 12 Türen können die Besucher nachvollziehen, wie das Notaufnahmeverfahren für die Flüchtlinge funktionierte. Ein anderer Themenraum ist der Frage gewidmet, wie es nach der Aufnahme im Westen weiterging. Auch über die Maßnahmen, mit denen die Staatssicherheit der DDR gegen das Aufnahmelager vorzugehen versuchte, können sich unsere Besucher informieren.
2. Welches Flüchtlingsschicksal ist Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben? Haben Sie ein Objekt, das Ihnen besonders am Herzen liegt?
Sehr betroffen hat mich das Schicksal eines Flüchtlings, der als 18-Jähriger durch den Teltowkanal nach West-Berlin entkam, später als Fluchthelfer arbeitete und ausgerechnet bei dem Versuch, seine Schwester in die Bundesrepublik zu bringen, verhaftet wurde. Nach fünf Jahren Gefängnis wurde er freigekauft. In unserer Ausstellung erzählt er seine Geschichte, ebenso wie an vielen Audio- und Videostationen weitere Zeitzeugen von ihren Erfahrungen auf der Flucht und im Notaufnahmelager berichten. Dieser biografische Zugang ist uns sehr wichtig. Ein Exponat, das ich besonders schätze, ist ein Stoffbär, der ganz harmlos aussieht und in unserer Ausstellung wahrscheinlich zunächst überrascht, aber mit einer dramatischen Geschichte verbunden ist: Er diente als Erkennungszeichen für die Fluchthelfer, die einen Vater mit seinen 12 und 13 Jahre alten Töchtern über die Transitstrecke im Kofferraum in den Westen schmuggeln sollten.
3. Wie sah der Alltag der Bewohner im Notaufnahmelager konkret aus?
Der Alltag im Notaufnahmelager war vom Warten bestimmt: Schritt für Schritt mussten sich die Bewohner durch die vorgeschriebenen Stationen des Aufnahmeverfahrens arbeiten, dabei zahlreiche Behördengänge, Befragungen und auch Arztbesuche absolvieren. In den Jahren vor dem Mauerbau waren zudem Enge und Gedrängtheit in den Unterkünften und auf den Fluren charakteristische Erfahrungen. Zu den Hochzeiten des Flüchtlingszustroms in den Fünfzigern meldeten sich vielfach über 100.000 Flüchtlinge pro Jahr in West-Berlin. Der Mauerbau schnitt diese Bewegung radikal ab, so dass es leerer und ruhiger im Notaufnahmelager wurde und hier ab 1964 auch Aussiedler untergebracht werden konnten.
4. Gab es Versuche seitens der DDR auf das Lager einzuwirken, und wie reagierten die West-Berliner Anwohner auf die ankommenden Menschen aus dem Osten?
Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR betrachtete das Notaufnahmelager Marienfelde von Anfang an als ein „Feindobjekt“, weil es aus seiner Sicht mit subversiven Aktionen verbunden war: Als „Lockmittel des Westens“ verleitete es, so meinte das MfS, zahlreiche Menschen aus der DDR zur Flucht oder Ausreise, was vom Gegner dann als „Abstimmung mit den Füßen“ gegen das SED-Regime gedeutet werden konnte. Entsprechend versuchte das MfS, das Aufnahmelager mit allen Mitteln auszuspionieren und zu schädigen. Unter anderem wurden erfolgreich IM eingeschleust, die Namen von Flüchtlingen weitergaben und ihre Fluchtwege und Helfer auskundschafteten. Für die West-Berliner bedeutete der Flüchtlingszustrom zumal in den fünfziger Jahren eine starke Belastung, da sie selbst noch unter den Kriegsfolgen litten. So wurden manchmal Zweifel laut, ob es sich bei allen Ankommenden um „echte“ Flüchtlinge handelte, die tatsächlich auf Grund von politischem Druck die DDR verlassen hatten. Auf der anderen Seite gab es, wie etwa uns vorliegende Spendenbücher zeigen, Solidarität mit den Flüchtlingen, die ihre Freiheit suchten und immer gefährlicher werdende Fluchtwege auf sich nahmen.
Das gesamte Interview ist nachzulesen in dem Buch "Berliner Mauer. Geschichtstouren für Entdecker" des Vergangenheitsverlages.
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